Gemeinsam musizieren in Zeiten von Corona | ein Gastbeitrag von Matthias Strobel

Matthias Strobel Gastbeitrag f Fete de la Musique

Die Situation gerade ist keine einfache. Besonders Musiker*innen leiden unter den fehlenden Konzerteinnahmen und abgesagten Bookings für Festivals und andere Veranstaltungen. Für viele Musiker*innen fällt dadurch eine der letzten echten Einkommensquellen weg.

Live-Streams aus dem eigenen Wohnzimmer sind momentan eine der wenigen Möglichkeiten, ein größeres Publikum als die WG-Mitbewohner*innen oder die eigene Familie zu erreichen. Monetarisierungsmodelle dafür sind zwar noch rar, dennoch gibt es bereits einige Tools, wie Caffeine, Crowdcast, Moment House, StageIt, oder Streamlabs, die Features anbieten, mit denen ihr Tickets oder Abonnements für eure Live-Streams verkaufen könnt oder einen Spendenbutton, digitale Items und euren Merchandise-Shops integrieren könnt. Mit Broadcasting-Programme wie Restream oder OBS Studio könnt ihr Live-Streams zeitgleich auf verschiedenen Plattformen wie Twitch, Facebook, Youtube oder Mixer verbreiten und dadurch eure Fans erreichen oder neue gewinnen.

Falls ihr schon länger mit dem Gedanken spielt, ein Konzert per Live-Stream im Internet zu übertragen aber nicht so recht wisst, welches Equipment ihr dafür benötigt, findet ihr hier eine Anleitung von residentadviser und oder hier einen Leitfaden von CDM wie ihr das richtige Setup aufbaut.

 

Die GEMA hat hier Informationen zur Abrechnung von Live Streams bereitgestellt und falls ihr euch einen Überblick über andere, weltweit stattfindende Online-Musik-Veranstaltungen verschaffen möchtet, kann ich euch dieses ständig aktualisierte Verzeichnis VIRTUAL MUSIC EVENTS DIRECTORY sehr empfehlen.

Durch die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 sind neben den abgesagten Konzerten nun leider auch die Möglichkeiten zum gemeinsamen Musizieren, für Bandproben oder einfach nur Jam-Sessions sehr begrenzt bzw. nicht mehr möglich geworden. Proberäume und andere Orte zur kreativen Entfaltung haben geschlossen, und auch der Besuch beim Bandkollegen oder bei befreundeten Musiker*innen ist nicht mehr möglich.

 

Der Vibe und die kreative Energie, die entstehen, wenn zusammen in einem Raum Musik gemacht wird, ist mit keiner Technologie zu ersetzen.

Dennoch gibt es eine Menge an Tools, die euch helfen können, euch mit anderen Musiker*innen zu vernetzen und so auch in Zeiten von Quarantäne und Isolation gemeinsam neue Musik entstehen zu lassen. Auch wenn ihr bisher keine oder nur wenig Berührungspunkte mit solchen Tools hattet, ist gerade jetzt eine gute Zeit, um sich damit auseinanderzusetzen.

Durch die Digitalisierung, das Internet und die fortschreitende technologische Entwicklung haben sich nicht nur neue Wege ergeben, Musik einfacher und unabhängiger zu vertreiben, zu bewerben und zu konsumieren. Es bieten sich dadurch auch mehr Möglichkeiten, mit Musiker*innen anderer Länder und Kulturen in Kontakt zu kommen, dort neue Fans zu finden oder sich von anderen Kunstformen inspirieren zu lassen. Nicht selten entsteht gerade aus solch ungewöhnlichen Situationen etwas völlig Neues und Großartiges.

 

Zahlreiche Tools ermöglichen euch, gemeinsam Musik zu machen oder über alle geografischen Grenzen hinweg miteinander zu kooperieren.

War bis vor einigen Jahren die Schnelligkeit der Datenverbindung im Internet das größte Hindernis, um tatsächlich in Echtzeit miteinander Musik zu machen, hat sich auch das in der Zwischenzeit geändert. Alles was ihr dazu benötigt sind ein Computer, eine Internetverbindung (mit mind. 200 kbps up- and downstream), das entsprechende Programm und an den Computer angeschlossene Instrumente.

Mit Freunden, Bandmitgliedern oder auch völlig fremden Musiker*innen zu jammen ist heutzutage nur eine Sache weniger Mausklicks. Auf Plattformen wie Sofasession oder Jammr könnt ihr zeitgleich mit anderen Musiker*innen in Echtzeit musizieren. Wer technisch ein bisschen versierter ist, kann auch Open-Source Software wie Jamulus, NINJAM Wahjam, oder Jamtaba nutzen, um virtuelle Jam-Sessions zu hosten. Diese Programme funktionieren am besten mit der Digital Audio Work Station (DAW) Reaper.

Services wie JamKazam oder Doozzoo ermöglichen es euch, über Video-Streams die anderen Musiker*innen zu sehen und bieten wie die meisten dieser Plattformen zudem an, dass ihr die produzierte Musik in einer Cloud speichern und so auch im Anschluss gemeinsam über alle Distanzen hinweg, an den Songs weiter arbeiten könnt.

Mit Mobile Apps wie ENDLESS, einer App für Beat-Maker und Produzenten, oder Trackd, eine Social Music Studio App mit angeschlossener Community, habt ihr die Möglichkeit von überall mit eurem Smartphone oder Tablet gemeinsam mit anderen in Echtzeit neue Songs zu schreiben und aufzunehmen.

Wer in erster Linie digitale Musik produziert, kann mit Online DAWs wie Soundtrap, Bandlab von zuhause aus, zusammen mit anderen Musiker*innen an Projekten arbeiten. Auch MIDI-fähige Instrumente lassen sich damit verbinden.

Wenn ihr lieber online mit eurer gewohnten Produktionssoftware arbeiten möchtet, bieten einige Hersteller von professionellen DAWs auch dafür entsprechende Plugins wie Steinberg VST Connect für Cubase oder Avid Cloud Collaboration für ProTools an. Die umfassendste Software dafür ist Source–Connect (SC). Neben dem Vorteil, dass sie mit allen gängigen DAWs kompatibel ist, bekommt ihr hier auch noch Zugang zu 50.000 Musiker*innen, Sänger*innen und Studios weltweit.

Auf Online-Music-Communities wie Bandhub, Soundstorming, Blend, oder Kompoz könnt ihr zwar nicht in Echtzeit miteinander Musik machen, aber habt dennoch die Möglichkeit eure Songs, oder fertige Teile davon, aufzunehmen, andere dazu einzuladen daran mitzuarbeiten, Feedback zu geben, oder selbst bei der Fertigstellung von Tracks anderer mitzuwirken.

Plattformen wie Splice oder SKIO Music ermöglichen zwar auch keine online Musikproduktion in Echtzeit, bieten dafür aber große Datenbanken mit Samples, Loops und Plugins für verschiedene DAWs an. Zusätzlich finden in den daran angeschlossenen Communities Remix Wettbewerbe statt, an denen ihr entweder teilnehmen, oder diese selbst welche starten könnt.

Auf der Seite CCMixter findet ihr Remixes und Samples, die unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht wurden, die kostenlos zum Download bereitstehen und frei verwendet werden dürfen.

Solltet ihr niemanden haben, mit dem ihr euch online austauschen könnt oder Musiker*innen mit Fähigkeiten sucht, die ihr selbst nicht habt, könnt ihr diese auf Plattformen wie Bandmix, ProCollabs, Pibox Music, Vocalizr oder Vampr finden. Diese Plattformen sind zudem ein großartiger Ort, um euch mit Musiker*innen aus anderen Erdteilen und Genres zu vernetzen.

Für diejenigen, die auf der Suche nach professionellen Musiker*innen sind, um sie für die Mitwirkung an euren Songs anzuheuern, oder falls ihr Toningenieure und andere Music Professionals sucht, die euch bei der Fertigstellung eures Songs helfen können, gibt es auch dafür Plattformen wie Tunedly, Soundbetter, AirGigs, StudioPros, Audiu, Melboss oder Verse Chorus und Kompoz Studio. Dabei reicht das Repertoire von Instrumentalist*innen und Sänger*innen bis hin zu Mixing- und Masteringexpert*innen.

Auch wenn diese Situation extrem unbefriedigend ist – gerade dann, wenn ihr auf eure Bandkollegen oder andere Musiker*innen angewiesen seid – können daraus unter Umständen neue Chancen entstehen. Kooperationen mit Musiker*innen aus anderen Kulturkreisen oder Genres machen nicht nur Spaß und erweitern den eigenen musikalischen Horizont, sondern sind auch eine gute Möglichkeit, Katalog und Fanbase aller an der Kooperation Beteiligten zu vergrößern.

Spätestens seit Aerosmith und Run DMC’s 80er Jahre Hit „Walk This Way“ haben Collabos zwischen genre-fremden Künstler*innen immer wieder Musikgeschichte geschrieben und zu neuen Sounds geführt. Im besten Fall erleben wir also durch die momentane Situation wieder die Geburt neuer musikalischer Stilrichtungen.

 

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Über den Autor:
Matthias Strobel ist Präsident von MusicTech Germany, dem Bundesverband für Musiktechnologie in Deutschland und ist Hauptansprechpartner zum Thema Innovationen für die Musikbranche hierzulande. Mit seinem Netzwerk aus Musiktechnologie-Unternehmern, Vertretern der Musikindustrie und Wissenschaftlern sowie seinen Verbindungen zu (inter)nationalen politischen Entscheidungsträgern, Medienvertretern und Künstler*innen, fördert er den Wissenstransfer zwischen Visionären aus allen Bereichen der Kreativbranche und fungiert mit seiner Agentur WickedWork als Berater, Mentor und Brückenbauer zwischen Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft.

Foto (c) Alexander Rentsch